Gabriel Arthur: Auf Ihrer Website listen Sie nahezu 50 häufig gestellte Fragen auf. Welches sind für Sie die häufigsten Irrtümer zur Unterstützung von Klimaschutzprojekten und wie lauten Ihre Antworten?
Kai Landwehr: Eins besteht in der Terminologie selbst. Heute sprechen wir mehr über freiwillige CO₂-Märkte und Klimaschutz jenseits der Wertschöpfungskette als über Klimaschutzbeiträge. Das grösste Missverständnis ist aber, dass Unternehmen, die solche Lösungen nutzen, nachsichtig sind und ihr «schlechtes» Business wie gewohnt im Hintergrund weiterführen.
Von unserem Kundenstamm und aus aktuellen wissenschaftlichen Studien wissen wir, dass diese Auffassung einfach nicht wahr ist. Diese Unternehmen geben viel Aufwand und Geld aus für interne Strategien zur Reduzierung und Vermeidung von Treibhausgasen. Dazu kommt meist die Finanzierung von wirkungsvollen Klimaprojekten.
Es geht nicht um ein Entweder-oder wie beim Reduzieren oder Finanzieren. Im Klimaschutz mit Wirkung geht es um ein Sowohl-als-auch. Tun Sie Ihr Bestes und übernehmen Sie Verantwortung für den Rest. Und das ist es, was die überwiegende Mehrheit dieser Unternehmen tut.
Gabriel Arthur: Sind die beiden Konzepte CO2-neutral und netto null aus Ihrer Sicht noch relevant? Oder sollten wir aufhören, sie zu verwenden?
Kai Landwehr: Bei myclimate haben wir das Label «klimaneutral» durch ein anderes Claim ersetzt (myclimate «Wirkt. Nachhaltig»). Mit den geltenden Regeln des Pariser Klimaabkommens ist es nun nicht mehr möglich, Reduktionsemissionen anderer Projekte in Ihrer Bilanz anzurechnen. Das würde eine Doppelzählung bedeuten. Ausserdem kritisieren Verbraucherschutzorganisationen zu Recht, dass diese Behauptungen irreführend sind, weil sie von der Tatsache ablenken, dass ein Produkt CO2-Emissionen verursacht. Emissionen, die nicht verschwinden, obwohl ein Unternehmen in Klimaschutzprojekte investiert hat. Diese Veränderung in der Kommunikation ist ein grosser Schritt, um den bisherigen Tonne-für-Tonne-Ansatz zu einem ehrlicheren und verantwortungsbewussteren Tonne-für-Geld-Ansatz umzuwandeln.
Und entscheidend ist: Diese freiwilligen Beiträge der Unternehmen brauchen wir auch heute noch, um den Klimawandel erfolgreich zu bekämpfen. Die freiwilligen CO₂-Märkte haben in der Vergangenheit viele wertvolle Klimaprojekte mit herausragender Erfolgsbilanz ins Leben gerufen und umgesetzt. Wir müssen die Kommunikation anpassen und die Qualität der Projekte kritisch betrachten. Und ausserdem müssen diesen Markt ausbauen, und zwar nicht als «Wunderwaffe», sondern als wesentliche Massnahme des globalen Klimaschutzes.
Gabriel Arthur: Wenn man über myclimate hinausschaut – gibt es bei Unternehmen und Organisationen, die sich im Auftrag von Unternehmen für den Klimaschutz engagieren, verlässliche Möglichkeiten, die «Guten» von Akteuren zu unterscheiden, die nur schnelle Lösungen und sogar Betrug anbieten?
Kai Landwehr: Erstens denke ich, dass die meisten Menschen und Organisationen in diesem Bereich ihre Arbeit mit guter Absicht tun. Wie in jedem anderen Business zieht auch ein funktionierender Markt Betrüger an. Sie sind jedoch die absolute Ausnahme. Generell ist es ein guter Indikator, wenn ein möglicher Partner im Klimaschutz mehr auf Qualität und nachhaltige Zusatznutzen als auf den günstigsten Preis pro Tonne setzt. Zudem hilft auch das Mass an Transparenz dabei, einen vertrauenswürdigen Partner zu finden: Wie viele Informationen stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung und wie viele Informationen werden Ihnen auf Anfrage mitgeteilt? Erwarten Sie nicht, dass jedes Detail von Projekten und Prozessen veröffentlicht wird, denn das wären zu viele Informationen, die es zu verarbeiten gäbe. Zentrale Kennzahlen, eine Auflistung der involvierten Partner sowie Informationen über interne und externe Sorgfaltspflichten sind jedoch von entscheidender Bedeutung.
Gabriel Arthur: Auch REDD+ aus der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen wird oft diskutiert. Wie stehen Sie zu REDD+ und der Debatte?
Kai Landwehr: Waldschutz ist von grösster Bedeutung. Ohne einen wesentlichen Beitrag des Landnutzungs- und Forstsektors werden wir die Pariser Ziele nie erreichen. Wir müssen Bäume pflanzen und bestehende Waldökosysteme schützen, was auch immer dafür nötig ist. Und wenn diese Projekte richtig konzipiert und ausgeführt werden, sind sie für die indigene Bevölkerung, die Biodiversität, das lokale Wetter usw. von Vorteil.
Wir hatten jedoch lange Diskussionen über die Effektivität von Projekten nach den REDD+-Richtlinien sowie deren Methodik und Anforderungen. Da viele Fragen, zumindest aus unserer Sicht, immer noch nicht ausreichend beantwortet waren, haben wir unseren Partnern keine REDD+-Projekte angeboten.
Das änderte sich mit den ersten REDD+-Projekten, die dem Plan-Vivo-Standard folgten, einem kleinen, aber strengen Standard für Forstprojekte. Vielleicht kann dieses Dilemma so gelöst werden: Lernen Sie aus vergangenen Fehlern, konzipieren Sie bessere Projekte und konzentrieren Sie sich auf die Bedeutung von Ökosystemlösungen.
Gabriel Arthur: Gibt es für Verbraucher*innen, z. B. von Outdoor-Produkten, eine Möglichkeit zu wissen, worauf sie in diesem Kommunikationsdschungel vertrauen können?
Kai Landwehr: Die Unternehmen der Outdoor-Branche sind aus meiner Sicht Vorreiter, wenn es um Klimaschutz und Umweltintegrität geht. Auf die Natur achtzugeben ist ein Eckpfeiler dieser Branche. Selten gibt ein Unternehmen irreführende oder gar falsche Informationen an seine Kundschaft weiter. Doch das löst das Problem des Label-Dschungels nicht.
Mit der bevorstehenden EU Green Claims Directive werden wir bald eine politische Reaktion sehen, die hoffentlich die Kund*innen dabei unterstützen wird, bessere Produkte zu finden. Es gibt aber auch Initiativen aus der Branche wie das Sustainability Data Exchange Project (SDEX) der European Outdoor Group, die das Potenzial haben, mehr und bessere Leitlinien zu liefern, letztlich auch an den Verkaufsstellen.
Wir sollten uns aber nicht nur auf das Produkt konzentrieren. Ich denke, es besteht ein grosses Interesse der Konsument*innen, mehr darüber zu erfahren, welche konkrete und strategische Ausrichtung ein Unternehmen im Hinblick auf seine ESG-Ziele (Umwelt, Soziales und Governance) verfolgt. Konsument*innen sind sich darüber im Klaren, welche Auswirkungen ein Unternehmen auf breiter Ebene haben kann, wenn es um ihre Fragestellungen in den Bereichen Logistik, Lieferketten und Geschäftsmodelle geht.