Der Bundesrat hat am 21. Mai die Stossrichtung der Schweizer Klimapolitik für die Zeit nach 2020 festgelegt.
Wir begrüssen, dass sich der Bundesrat dabei am 2-Grad-Ziel orientieren will. Den dazu nötigen, konsequenten Schritt mit der Erhöhung des Schweizer 2020-Reduktionsziels auf minus 30% beziehungsweise minus 40% hat der Bundesrat leider jedoch verpasst. Das Warten auf bessere Zeiten nach 2020 ist keine Lösung. Umso wichtiger ist darum jetzt aufzuzeigen, dass mehr Klimaschutz auf nationaler und vor allem auch auf internationaler Ebene absolut notwendig, möglich und für die Schweiz sogar gewinnbringend ist.
Der Bundesrat hat beschlossen, dass der Schweizer Treibhausgasausstoss auch in Zukunft weiter gesenkt werden soll. Dies will er erreichen durch eine konsequente Weiterführung der bestehenden Instrumente verbunden mit punktuellen Verschärfungen. Neben den bewährten Instrumenten im Inland werden neu insbesondere technische Vorschriften im Gebäudebereich und allenfalls eine Lenkungsabgabe auf Treibstoffe in Betracht gezogen. Gleichzeitig wird der Systemwechsel weg von einem Fördersystem hin zu einem Lenkungssystem im Klima- und Energiebereich weiter vorangetrieben. Dieser Schritt ist absolut begrüssenswert, da so die Grundlage geschaffen wird, dass die Wirtschaft in Zukunft basierend auf einer Vollkostenrechnung effektiv nachhaltig Lösungen entwickeln kann.
Im Widerspruch zur Vorgabe, dass für die Reduktionsziele nach 2020 das 2-Grad-Ziel als Messlatte dienen soll, hat es der Bundesrat gestern jedoch verpasst, seine Kompetenz zu nutzen, das Reduktionsziel bis 2020 auf minus 40% zu erhöhen. Dies hätte v.a. auch erlaubt, das zur Zeit viel zu schwache, doch so enorm wichtige internationale Klimaschutzengagement der Schweiz zu verstärken. Der Bundesratsentscheid zeigt, dass es dringend weitere Überzeugungsarbeit braucht, die wirtschaftlichen Opportunitäten und Chancen einer aktiven Klimapolitik aufzuzeigen. Dass es diese gibt, unterstreichen sowohl der 5. Zustandsbericht des IPCC wie auch die Stimmen von verschiedenen Wirtschaftsunternehmen eindrücklich.
Die Schweiz kann sich ambitionierten Klimaschutz leisten. Ambitionierter Klimaschutz lohnt sich für die Schweiz der Zukunft! Statt abzuwarten ist es jetzt und in den nächsten Jahren umso wichtiger, mit freiwilligem und pragmatischem Klimaschutz voranzugehen. myclimate zählt dabei auf einen weiteren Ausbau von Partnerschaften für den Klimaschutz mit Privaten und der Wirtschaft. Klimaschutz und Ressourceneffizienz sind heutzutage schon wichtige Stossrichtungen, um auch in Zukunft wirtschaftliche und gesellschaftliche Spitzenpositionen der Schweiz zu halten.
Unser Potential ist gross. Mit vergleichsweise bescheidenen Verursacherbeiträgen, die hochwertige internationale Schweizer Klimaschutzengagements möglich machen, kann eine klimaneutrale Schweiz realisiert werden. Als erstes klimaneutrales Land könnte die Schweiz trotz ihrer Grösse auf globaler Ebene ein starkes Zeichen für die Erreichung des 2-Grad-Zieles setzen. Gleichzeitig würden sich hierdurch immense lohnenswerte Exportchancen für Schweizer Umweltknowhow und -technologien und die nachhaltige globale Entwicklung öffnen.
Wege und Potentiale für eine klimaneutrale Schweiz
myclimate fördert den Klimaschutz auf nationaler und globaler Ebene. Im Land sind national klare ambitionierte, langfristige Rahmenbedingungen erforderlich. Diese brauchen einen Mix aus sich laufend verschärfenden und der Entwicklung folgenden technischen Standards für die Hauptemissionsquellen der Treibhausgase, eine Kosteninternalisierung mit vollständigem Verursacherprinzip und flexible wirtschaftliche Mechanismen.
Das nationale Engagement im Klimaschutz ist allerdings nur so erfolgreich und wirksam, wie es gelingt, sich auch global im gleichen Masse für das 2°-Grad-Ziel einzusetzen. Diese Notwendigkeit verbunden mit der globalen Verflechtung der Schweizer Gesellschaft und Wirtschaft sprechen zwingend für ein verstärktes internationales Schweizer Klimaschutzengagement. Das myclimate-Motto lautet: „Do your best (locally) & offset the rest“. Daher plädiert myclimate zusätzlich zu den absolut notwendigen nationalen Massnahmen für eine Strategie hin zu einer klimaneutrale Schweiz!
Klimaneutralität ist für die Schweiz keine Utopie. Sie wäre problemlos zu finanzieren und dabei durch die verbesserte internationale Zusammenarbeit und Erschliessung neuer Märkte für Schweizer Umwelttechnologien wirtschaftlich und gesellschaftlich gleichsam lohnenswert. Der Aufwand wäre verhältnismässig bescheiden, wie folgende Beispiele verdeutlichen:
- Das Autofahren mit Benzin oder Diesel würde weniger als einen Rappen pro Kilometer mehr kosten
- Das Heizen der Wohnung mit Öl oder Gas wäre pro Quadratmeter Wohnung und Jahr lediglich ein bis zwei Franken teurer
- Mehrkosten für einzelne Konsumprodukte wären so gering, dass sie kaum Auswirkungen auf die Preise hätten, zum Beispiel lägen sie pro Flasche Bier bei weniger als einem Rappen
Mit einem solchem Bekenntnis könnten zum Beispiel der folgende hypothetische Fahrplan für eine klimaneutrale Schweiz und eine nachhaltige, aus der Schweiz angeschobene globale Entwicklung realisiert werden. Diese Massnahmen würden innert sieben bis zehn Jahren jeweils 30-40 Millionen Tonnen Treibhausgase reduzieren:
- 2014: Bau von 800'000 Kleinbiogasanlagen, mit deren Gas vier bis fünf Millionen Menschen in den ländlichen Regionen Indiens sauber kochen können (Bedarf bestünde für 200-300 Millionen Menschen)
- 2015: Durch den Support von Social Businesses können rund 35 Millionen Solarlampen in ländlichen Regionen Afrikas ohne Stromversorgung verkauft werden und die gängigen Kerosinlampen ablösen
- 2016: Aufbau von Kompostier- und Vergäranlagen in allen Hauptstädten Ostafrikas (Nairobi, Kampala, Addis Abeba, Dar Es Salaam) für rund drei Millionen Tonnen Grünabfall
- 2017: 3.5 Millionen effiziente Kocher und Solarkocher für rund 20 Millionen Menschen in Südamerika
- 2018: neue Technologien für sauberes Wasser für 3.5 Millionen afrikanische Haushalte
- 2019: Recyclinganlagen für Kühlgeräte in den wichtigsten zehn Mega-City-Regionen Südamerikas
- 2020: 150'000 Hektar neue Wälder mit nachhaltiger Waldbewirtschaftung in Mittelamerika
- 2021: 70'000 effiziente Busse, die nur noch halb soviel CO₂ emittieren wie die aktuell sich im Einsatz befindlichen Busflotten in asiatischen Mega-Cities
- 2022: Trockenreisanbau ähnlich jenem im Tessin für vier Millionen Familien in den asiatischen Reisanbaugebieten Nepals, Indiens und Burmas
- 2023: Zehn Millionen Elektrobikes in den indonesischen Inselstaaten, wo die fast 250 Millionen Einwohner zurzeit ihre Anzahl Motorbikes alle drei bis vier Jahre verdoppeln.
René Estermann
Geschäftsführer
Stiftung myclimate - The Climate Protection Partnership