Das Logo der «Blue COP» hatte es verdeutlicht: Es ist kurz nach zwölf. Das Pariser Klimaschutzabkommen muss jetzt umgesetzt werden. In Madrid war #TimeforAction angesagt. Wie einige Tage vorher vom Schweizer Delegationsleiter Franz Perrez bei myclimate angekündigt, war geplant, in Madrid die unzähligen ungeklärten Passagen in Artikel 6 des Abkommens zur Regelung der internationalen Zusammenarbeit der Länder für den Handel mit Emissionsgutschriften final auszuhandeln. Klare Bekenntnisse zu mehr Ambition in Form aktualisierter, nationaler Klima- und Emissionsminderungsziele (Nationally Determined Contributions NDCs) in 2020 sowie eine stärkere Zusammenarbeit beim Themenkomplex Verlust und Zerstörung durch den Klimawandel für Entwicklungsländer waren weitere wesentliche Inhalte für die fast zwei Wochen andauernden Verhandlungen in Madrid.
Nie zuvor gingen weltweit so viele Menschen für eine Sache auf die Strasse wie dieses Jahr. Doch trotz dieses immensen Drucks der Öffentlichkeit verliefen die Verhandlungen äusserst zäh. Spitzfindige, schier endlose Einwände einzelner Länder und sich über Tage verhärtende Positionen prägten die Verhandlungen in den Plenarsälen. Die Ergebnisse sind alles andere als zufriedenstellend. Die zentralen Themen wie «Double Counting», «Corresponding Adjustments», Menschenrechte und einheitliche Zeitfenster zwischen den Update-Intervallen für die NDCs waren die Eckpunkte der Auseinandersetzungen. Doch anstatt einen Konsens zur Bewältigung dieser Differenzen zu finden, mussten die Staaten am Ende selbst noch um eine sehr lasche Abschlusserklärung ringen. Dafür überzogen die Delegierten den Konferenzzeitraum um 44 Stunden, so lange wie nie zuvor. Der australische Wissenschaftler Bill Hare bilanzierte: «Ich habe auf dieser COP so viele Tränen gesehen wie in 24 Jahren davor noch nicht. Dies ist die COP der Tränen. Auf diese COP kamen die Jugend und die Delegierten bedrohter Inselstaaten und wurden enttäuscht. Nun kommen sie mit leeren Händen zurück nach Hause.» Auch der UN-Generalsekretär António Guterres tweetete ein sehr ernüchtertes Fazit: «Ich bin enttäuscht über die Ergebnisse der COP25.»
Immer noch keine Regeln
Der maximal mögliche Konsens zeigt sich in der Abschlusserklärung. Die Länder werden daran erinnert, im nächsten Jahr ihre Klimaschutzziele für 2030 möglichst zu kommunizieren oder zu aktualisieren. Ist das die Ambition, der man sich in Paris verschrieben hat? Wohl kaum!
Das Entscheidende, die Regeln für die internationale Zusammenarbeit, insbesondere den Handel mit Klimaschutz- beziehungsweise Emissionsgutschriften, konnte nicht festgelegt werden. Eine Einigung zu Artikel 6 hätte für den Freiwilligenmarkt, Unternehmen, Privatleute und Organisationen wie myclimate richtungsweisende Stabilität liefern können. Denn klar ist und bleibt eines: 2021 läuft das Kyoto-Protokoll aus und Emissionsminderungsziele müssen dann nicht mehr nur die Industriestaaten, sondern alle Länder beherzt angehen und erreichen.
Dieses Jahr wurde eines sehr deutlich: Die internationale Politik stösst beim Klimaschutz an ihre Grenzen. Zerwürfnisse zwischen einzelnen Ländern wurden nicht abgebaut, sie können sich im Gegenteil sogar vertiefen. Für uns und alle anderen Akteure des Freiwilligenmarktes bedeutet das vor allem eines: In naher Zukunft werden Klimaschutzmassnahmen aus freiwilliger Initiative weiter eine sehr wichtige Rolle spielen! Zu gross und zu wichtig ist der Handlungsdrang unzähliger Unternehmen und Privatpersonen. Zu weit entfernt sind die tatsächlichen Entwicklungen des globalen Ausstosses an Treibhausgasen und aktuell erreichten Minderungen, wie auch der veröffentliche Emissions Gap Report des Umweltprogramms der UN (UNEP) wiederholt aufzeigte. Diese Finanzierungs-, Zeit- und Minderungslücken zwischen dem Ziel von Netto-Null bis 2050 und den tatsächlichen Entwicklungspfaden sind die Kernargumente für freiwillige Klimaschutzmassnahmen.
Die Akteure der COP25 haben das Heft des Handelns den freiwillig Teilnehmenden nicht entrissen. Wie grossartig wäre es, wenn die freiwilligen Beiträge nur das berühmte «i-Tüpfelchen» auf einem international abgestimmten, von der Politik ambitioniert vorangetriebenen Massnahmenplan sein könnte? Doch das wird in absehbarer Zeit aufgrund der Eindrücke von Madrid nicht der Fall sein.
Positive «Take Aways» aus meiner Woche COP25
Die COP wird nicht allein durch die Verhandlungen geprägt. Es gibt unglaublich viele Events, Diskussionen, Happenings und Gespräche rundherum. Dort spürt man die globale Energie, wirklich etwas zum Positiven bewirken zu wollen, was teilweise im starken Gegensatz zu den offiziellen Verhandlungen steht. Einige Entwicklungen nehme ich aus Madrid mit:
Es hat sich schon in Katowice gezeigt: Natur-basierte Lösungen, also Ökosystemdienstleistungen wie beispielsweise Landnutzungsprogramme oder Aufforstungspläne erfahren wachsendes Interesse. Ohne einen Fokus auf Wälder und Böden werden wir die globalen Klimaziele nicht erreichen können. Dieses Bewusstsein ist da, die Bereitschaft aus Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu lernen meines Erachtens auch.
Der Begriff «Klimaneutralität» steht unter steigendem Druck. Laut der International Emission Trading Association (IETA) kann es notwendig werden, dass aktives Senken von Emissionen eine Voraussetzung (wie z.B. durch Aufforstungen) für einen Anspruch auf Klimaneutralität wird. Insbesondere wenn diese Klimaneutralität mit einem Label ausgezeichnet werden soll.
Die Jugend erfährt mehr Gehör. Nicht nur, dass Zehntausende junge Menschen in Madrid für mehr Klimaschutz auf die Strasse gingen. Auch auf und um die COP kamen sie zu Wort, auf Panels, mit Key Notes, als besondere Gäste. Das Einbinden junger Menschen ging teilweise so weit, dass einigen Organisationen «youth washing» vorgeworfen wurde. Dennoch ist diese Tatsache sehr erfreulich. Die «Jugend» hat im letzten Jahr so viel bewirkt, dass sie nicht mehr aussen vorgelassen werden kann.
Apropos «Jugend»: Greta erfährt mehr mediales Interesse als Staatsoberhäupter. Ohne dies zu wollen, konnte sie sich teilweise nur mit Hilfe von Sicherheitsmitarbeitenden durch das Messegelände bewegen. Mehr als je zuvor zieht sie aber auch starke, teils unterirdische Ablehnung auf sich. Ihr Fokus bleibt trotzdem gleich und ihre Enttäuschung war daher so ehrlich wie gross: «Die Staaten suchen sich nur noch Schlupflöcher, anstatt konkrete Taten umzusetzen.»
Auch myclimate wurde gehört. Ich selber durfte im UNFCCC-Pavillon unsere Organisation und unsere Lösungsansätze vorstellen. Vielen Dank an Marc Buckley, Interviewpartner an unserem nächsten myclimate Cloud Apéro, der dies möglich gemacht hat. Auch durfte ich ein Interview für ein Dokumentations-Filmteam geben. Und ich habe Trump kennengelernt! Sven Trump, Donald T.’s entfernter deutscher Verwandter, der es sich zum Ziel gesetzt hat, sein Familienmitglied für Klimaschutz zu begeistern. Sven Trump war eigens mit einem Food Truck angereist. Mit grossartigen, vegetarischen Burgern begeisterte er die COP-BesucherInnen. Donald hat sich nicht blicken lassen, aber Sven gibt nicht auf.
Frank Helbig, myclimate