Was war deine Inspiration, dich für eine Organisation wie Stop Ecocide zu engagieren?
Ich war mit meiner großen Tochter 2019 im Osterurlaub in London. Es waren sommerlich warme Tage. Wir kamen aus einer U-Bahnstation und standen plötzlich mitten in einer Großdemo: Extinction Rebellion hatte ganz London lahmgelegt. Vor uns ragte ein pinkes Segelboot in den blauen Himmel, mit dem die Kreuzung blockiert wurde und das als Bühne diente. Hinter uns war eine vegane Küche aufgebaut und versorgte alle mit Essen. Es war eine so friedliche und kreative und gleichzeitig so klare und engagierte Atmosphäre, die mich tief berührt hat. Zum ersten Mal habe ich verstanden, warum ich all die Jahre so ein diffuses Gefühl von Bedrohung hatte.
Mit dem Bewusstsein über Klima-Kipp-Punkte und Artensterben konnte ich nach dem Urlaub nicht so weitermachen wie vorher. Und dann lernte ich Stop Ecocide kennen und habe sofort verstanden, welche bahnbrechenden Potenziale in dem klaren Konzept stecken, die schlimmsten Naturzerstörungen global wirksam zu ächten und die verantwortlichen Entscheidungsträger weltweit zur Verantwortung zu ziehen.
Wie möchte die Organisation Stop Ecocide den Klimaschutz vorantreiben?
Das Ökozid-Konzept, wie wir es bei Stop Ecocide International verstehen, geht weit über Klimaschutz hinaus. Es geht um den Schutz der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten, indem schwerste Naturzerstörung zu einem internationalen Verbrechen erklärt wird. Dadurch wird ein globaler Rechtsrahmen geschaffen, der einerseits wirkungsvolle Leitplanken für sicheres Wirtschaften aufstellt, und andererseits den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt: denn im Kern geht es beim Ökozid-Konzept um Gerechtigkeit und Verantwortung.
Das Klima profitiert dabei mittelbar: durch den Schutz der natürlichen Kohlenstoffsenken an Land und in den Ozeanen. Diese sind entscheidend, um die globale Erwärmung einzudämmen. Außerdem befinden sich die meisten Ozeane außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit, so dass es besonders dringend ist, sie besser zu schützen. Zudem werden Unternehmen entweder Sicherheitsvorkehrungen für klimagefährdende Tätigkeiten treffen oder bessere Konzepte entwickeln und anwenden. Und Regierungen werden bei der Verlagerung von Subventionen weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energiequellen unterstützt.
Was meint das Wort «Ökozid» und warum verwendet ihr es?
«Ökozid» ist ein relativ junges Wort, das sich aus dem griechischen «Oikos» (Haus, Heim, Lebensraum, Umwelt) und dem lateinischen Suffix -zid (töten) zusammensetzt. Wörtlich bedeutet es also «Umweltmord«.
Ökozid ist ein mächtiges Wort. Es beschreibt so deutlich wie kein anderes, um was es geht: nichts weniger als die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Die Abholzung des Regenwaldes, aber auch der letzten Urwälder Europas sind ebenso Beispiele wie die Pestizid- und Plastikverseuchung von Boden und Wasser oder die gigantischen Tagebau-Ausbeutungen, Ölkatastrophen oder Tiefsee-Bergbau.
Allein die Nutzung des Wortes hat schon Wirkung. Das ist eine große Besonderheit unserer Kampagne: je mehr Menschen das Konzept verstehen und das Wort “Ökozid« verwenden, desto eher begreifen Politik und Wirtschaft, dass sich die Rahmenbedingungen bald ändern werden. Das hat schon heute Einfluss auf Investitionsentscheidungen.
Reichen Bemühungen wie der EU Green Deal nicht aus?
Der Green Deal ist ein ehrgeiziges Projekt von großer Tragweite für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Die EU hat zu Ostern 2024 ein neues Umweltstrafrecht beschlossen, das nun von allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss. Besonders schwere Naturzerstörung wird darin als «vergleichbar mit Ökozid» bezeichnet und strafverschärfend gewertet. Damit wird Ökozid zum ersten Mal in der Rechtsgeschichte in einem multinationalen Gesetz eingeführt. Das ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, Ökozid in das internationale und global gültige Völkerstrafrecht einzuführen. Und genau das ist unser Ziel.
Nur im Völkerstrafrecht gilt das Weltrechtsprinzip: Verbrechen von solcher Tragweite, dass sie die Menschheit als Ganzes betreffen, dürfen nicht ungesühnt bleiben. Dadurch werden auch Staaten erfasst, die den Internationalen Strafgerichtshof bislang nicht anerkennen, wie beispielsweise Russland, die USA oder China.
Darüber hinaus wirkt das Strafrecht auf die moralische Entwicklung unserer Gesellschaften: denn im Strafrecht definieren wir die roten Linien, über die niemand ungestraft hinausgehen darf. Wenn schwerste Naturzerstörung vom Kavaliersdelikt zum Kapitalverbrechen wird, wird die massive Schädigung oder Zerstörung von Ökosystemen gesellschaftlich inakzeptabel. Wir brauchen dieses neue Tabu.
Viele Menschen, Organisationen und Unternehmen haben Ideen und möchten etwas verändern. Wie kann das gelingen, woher nimmt man den Mut?
Mut bedeutet, etwas trotz Unsicherheit zu wagen. Es ist die Bereitschaft und Fähigkeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Dabei ist es hilfreich, mit kleinen konkreten Schritten anzufangen und sich Unterstützung sowohl zu suchen als auch selbst zu geben. Mit anderen zu kooperieren, sich über Ideen auszutauschen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, das ist vielleicht die größte menschliche Kraft.
Es gibt schon sehr viele tatkräftige und inspirierende Organisationen und Allianzen. Sich dort zu engagieren und auszuprobieren, wie die eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen sinnvoll und freudvoll eingesetzt werden können, ist ein einfacher und sehr wirkungsvoller Schritt.
Wir freuen uns sehr über Menschen, die unser deutsches Team unterstützen möchten. Manchmal sind es kleine Tipps oder persönliche Kontakte, die eine große Wirkung entfalten!
Was gibt dir persönlich Kraft, dich immer weiter zu engagieren?
Die Inspiration und Freude, die wir uns in unseren zweiwöchentlichen Online-Treffen und zwischendurch im deutschen Team gegenseitig geben. Das Gefühl, Teil einer großen globalen Bewegung zu sein, wenn wir uns monatlich mit den internationalen Teams aus über 50 Ländern treffen. Die großen und kleinen Erfolge, die wir erzielen - Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften oder Interviews wie dieses; die Aufmerksamkeit und Unterstützung von Unternehmen, Politiker*innen, Universitäten oder Verbänden. Die vertrauensvolle und stärkende Zusammenarbeit mit Partnern wie dem Netzwerk Rechte der Natur, der Heinrich-Böll-Stiftung, Green Legal Impact, Ecosia, der GLS-Bank oder Patagonia.
Und nicht zuletzt die tiefen Gespräche mit meiner Partnerin und die Gedanken an meine Kinder.
Wolf-Christian Hingst studierte Sozialwissenschaften in Göttingen. Nach einer Karriere im Marketing engagiert er sich seit 2020 für die internationale Organisation Stop Ecocide.
Kontakt-Email: deutschland@stopecocide.de