Climate Talk mit Reto Knutti

In unserer Interviewreihe «Climate Talk» lassen wir Menschen zu Wort kommen, die sich aktiv für den Klimaschutz einsetzen und inspirieren. Im Gespräch verrät uns Reto Knutti, renommierter Klimaforscher an der ETH Zürich, seine Sorgen und Hoffnungen angesichts der aktuellen Entwicklungen. Tut die Politik genug? Warum ist es wichtig, dass Unternehmen mehr Einsatz zeigen, und weshalb ist es noch nicht zu spät, den Klimawandel zu begrenzen?

myclimate: Die grosse Einstiegsfrage: Wo stehen wir global in Bezug auf die Bekämpfung des Klimawandels und das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens? 

Reto Knutti: Die globalen Klimaziele sind an sich schon nicht sehr ambitioniert. Mit ihnen steuern wir immer noch auf eine veränderte Welt zu. Aber, es mangelt sogar heute immer noch an Massnahmen, um allein diese Ziele zu erreichen. Wir haben also in doppelter Hinsicht noch nicht genug getan. Zwar werden wir bei den globalen CO2-Emissionen bald den Höchststand überschritten haben, doch von Netto-Null-Emissionen sind wir noch weit entfernt. Infolgedessen jagt ein Temperaturrekord den nächsten, und die Auswirkungen des Klimawandels sind überall sichtbar. 

 

myclimate: Wie schlägt sich die Schweiz dabei? Ist sie Vorreiterin oder hinkt sie ihren eigenen Ansprüchen hinterher? Was muss in den nächsten Jahren geschehen, damit wir in unseren Klimaschutzbemühungen erfolgreich sind? 

Reto Knutti: Die Schweiz hat im Inland keine fossile Stromerzeugung und ihre Emissionen bereits gesenkt. Erste Massnahmen, wie das Gebäudeprogramm, zeigen Wirkung. Allerdings ist ein Teil der Reduktion einfach auf die Verlagerung der industriellen Produktion ins Ausland zurückzuführen. Wenn wir den gesamten konsumbasierten Fussabdruck betrachten, sieht das Bild viel schlechter aus. Unabhängige Bewertungen stufen die Bemühungen der Schweiz hinter dem EU-Durchschnitt ein und bewerten sie als „ungenügend“. Mit der Annahme des Klimaschutzgesetzes als Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative 2023 und dem Stromgesetz 2024 wurden wichtige Weichen gestellt, die uns auf den Netto-Null-Kurs bringen sollen. Leider tut sich die Politik schwer, wirksame Massnahmen zu beschließen. Am Ende müssen wir den Erfolg nicht an Absichtserklärungen, sondern an den tatsächlichen Emissionen messen. 

 

myclimate: Wie gut sind Schweizer Unternehmen darauf vorbereitet, ihre Geschäftsmodelle zukunftsfähig und nachhaltig aufzustellen? 

Reto Knutti: Derzeit sehen wir sehr unterschiedliche Entwicklungen. Klimaschutz, Energie und Nachhaltigkeit sind nicht mehr nur Randthemen in den Geschäftsberichten, sondern strategische Themen mit hoher Sichtbarkeit. Viele Unternehmen engagieren sich aktiv und sehen Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen als Chance.

 

Sie erkennen auch die Risiken des Nichtstuns: Klagen, Marktveränderungen, verändertes Kundenverhalten, Regulierung oder Shitstorms.

 

Einige fordern sogar einen klaren Rahmen von der Politik, um Planungssicherheit und gleiche Regeln für alle zu garantieren. In diesem Sinne sind viele Unternehmen der Politik voraus. Gleichzeitig werden viele von der harten Realität eingeholt. Die gesetzten Ziele sind schwierig zu erreichen, das Reporting aufwändig, und momentan verdient man vor allem mit Waffen und fossilen Brennstoffen Geld. 

 

myclimate: Welche Rolle können Klimaschutzprojekte bei der Erreichung der übergeordneten Ziele spielen? 

Reto Knutti: Lange dachte man, man könnte vor Ort das Offensichtliche tun und sich dann mit relativ günstigen Klimaschutzprojekten anderswo von den Restemissionen «freikaufen», um «klimaneutral» zu sein. Bei vielen Projekten haben sich Diskussionen entwickelt, die zeigen, dass es schwierig ist zu bestimmen, welche Emissionen exakt vermieden wurden, welche zusätzlichen Effekte es gab und wie dauerhaft diese sind. Besonders bei Waldprojekten ist es grundsätzlich schwer zu beantworten, was passiert wäre, hätte man die Massnahmen nicht umgesetzt. Kritik daran ist teilweise berechtigt, doch gleichzeitig wäre es gefährlich, deswegen gar nichts mehr zu tun. Die Welt muss auf Netto-Null kommen, nicht nur die reiche Schweiz. Der globale Süden braucht unsere Unterstützung im Klimaschutz. Gut umgesetzte Projekte können dort nicht nur CO2 vermeiden, sondern auch Einkommen schaffen, die Luftqualität verbessern oder saubere Energie liefern. 

 

myclimate: Seit Klimaschutzprojekte medial kritisiert werden, sind Unternehmen zunehmend zurückhaltend in der Kommunikation oder Unterstützung solcher Projekte. Wie bedenklich ist diese Entwicklung? 

Reto Knutti: Das sogenannte «Greenhushing», also der Klimaschutz hinter vorgehaltener Hand, bereitet mir grosse Sorgen. Unternehmen werden kritisiert, wenn sie ihre Ziele nicht vollständig erreichen oder die Projekte nicht perfekt umsetzen. Als Reaktion darauf warten sie entweder ab oder sprechen nicht mehr darüber, was sie bereits erreicht haben. Wir müssen uns bewusst sein: Netto-Null ist die wohl grösste Transformation der globalen Wirtschaft, die es je gegeben hat. Niemand weiss heute genau, wie wir das schaffen, und unweigerlich werden Fehler gemacht. Entscheidend ist, dass wir unsere Erfahrungen teilen und aus Fehlern lernen. Wir müssen die Pioniere feiern und unterstützen, auch wenn nicht alles auf Anhieb perfekt ist. 

 

myclimate: Würden Sie persönlich in myclimate-Klimaschutzprojekte investieren? 

Reto Knutti: In der Schweiz sind wir mit Geld, Technologie, Innovation und einer ausgezeichneten Bildung in einer privilegierten Situation, um den Klimaschutz voranzutreiben. Doch viele andere, insbesondere Entwicklungsländer, werden ohne unsere Hilfe die Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht schnell genug bewältigen können. Das ist auch ein zentrales Element des Pariser Abkommens. Unsere Investitionen in Klimaschutzprojekte können dort einen Unterschied machen. Entscheidend ist erstens, dass wir Projekte unterstützen, die höchsten Standards genügen und unabhängig geprüft werden. Besonders spannend sind zweitens Projekte, die vor Ort einen zusätzlichen gesellschaftlichen Nutzen schaffen, etwa durch die Ausbildung von Menschen, damit sie selbst Projekte weiterführen können. Drittens dürfen solche Projekte aber kein Freikaufen und keine Entschuldigung sein, um im eigenen Verhalten oder als Unternehmen nichts zu tun. 

 

myclimate: Welche Entwicklungen, Innovationen oder Prozesse machen Ihnen Hoffnung, dass wir den Klimawandel aufhalten oder managen können? 

Reto Knutti: Wir sind nicht schnell genug unterwegs, weder in der Schweiz noch weltweit – das ist Fakt. Was mich jedoch positiv stimmt, ist, dass das Thema auf höchster Ebene in Wirtschaft und Politik ernst genommen wird. Regulationen und Reporting, so aufwändig sie sind, zeigen Wirkung. Vor allem aber gibt es immer mehr innovative Lösungen, die einfacher und kostengünstiger umzusetzen sind. Klimaschutz und Energiewende sind alternativlos. Die Frage ist nur, wie und wo wir beginnen. Die Argumente beschränken sich heute nicht mehr nur auf die Umwelt; es geht um den Standort Schweiz, Geopolitik und eine sichere, saubere Energieversorgung im eigenen Land. Es lohnt sich für uns, in unsere Zukunft zu investieren. Diese Argumente finden immer mehr Unterstützung, unabhängig von der politischen Ausrichtung. 

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