Raues Klima? Wie sich der Klimaschutz neu beweisen muss

Qualität und Vertrauen waren niemals wichtiger: Der Klimaschutz steht unter kritischer Beobachtung. Das ist gut. Das Klima kann davon profitieren, wenn die Debatte dazu führt, dass sich qualitativ hochwertige Klimaschutzprojekte durchsetzen. Aber was bedeutet die aktuelle Situation für den Klimaschutz, Unternehmen und die Klimaschutz-Branche? Worauf muss jetzt geachtet werden? Darüber haben wir mit den myclimate Geschäftsführer*innen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland gesprochen.

v.l.n.r. Kathrin Dellantonio, Geschäftsführerin myclimate Schweiz, Stefan Baumeister, Geschäftsführer myclimate Deutschland, Christof Fuchs, Geschäftsführer myclimate Österreich

Wird das Klima für unternehmerischen Klimaschutz rauer?  

Stefan Baumeister – myclimate Deutschland: Derzeit gibt es eine sehr kritische Auseinandersetzung mit der Thematik. Da wird alles genau geprüft: Wie erfüllen Unternehmen ihre Verantwortung? Sind die Bemühungen rund um die Vermeidung oder Reduzierung von Emissionen glaubwürdig? Wird tatsächlich Verantwortung für unvermeidbare Klimagase übernommen? Ist die „Klimaneutralität und Kompensation“ zielführend oder kontraproduktiv? Und erfüllen Klimaschutzprojekte und beteiligte Organisationen eigentlich die Erwartungen? Also ja, rund um den Klimaschutz ist aktuell sehr viel in Bewegung.  

Kathrin Dellantonio – myclimate Schweiz: Wir reagieren darauf in allen von Stefan beschriebenen Bereichen mit unterschiedlichen Maßnahmen. Sowohl um den Klimaschutz als Ganzes zu stärken, als auch, um Unternehmen in ihrem Engagement zu unterstützen und zu begleiten. Wir sind überzeugt davon, dass es eine gemeinsame Anstrengung braucht, um das globale Klimaziel zu erreichen. Europäische Unternehmen müssen die eigenen Emissionen reduzieren und gleichzeitig auch noch einen Beitrag leisten zu Klimaschutz außerhalb ihrer Wertschöpfungskette.

 

Blicken wir konkret auf die Kritik an Klimaschutzprojekten. Wie seht ihr diese Entwicklung?

Kathrin: Ich begrüße die gestiegene Aufmerksamkeit und damit auch die Kritik an Klimaschutzprojekten. Als wir vor über 20 Jahren als Organisation begonnen haben, den Klimaschutz mit neuen Ideen voranzutreiben, war Aufmerksamkeit für den Klimaschutz erzeugen eines unserer Anliegen.

Dass nun Klimaschutzengagements jedweder Art von der Öffentlichkeit wahrgenommen und kritisch hinterfragt werden beweist, dass unsere Arbeit gefruchtet hat und der Klimaschutz dort angekommen ist, wo er hingehört: In der Mitte der Gesellschaft und jeder Debatte.

Dort befähigen und ermutigen wir weiterhin Menschen dazu, einen messbaren Beitrag zum Klimaschutz beizutragen.

Christof Fuchs – myclimate Österreich: Die Kritik ist auch ein Weckruf. Sie verdeutlicht die Dringlichkeit, hochwertige Klimaschutzprojekte zu entwickeln, zu fördern und gut zu kommunizieren. Das kann dazu beitragen, die Transparenz und Qualität im Klimaschutz zu erhöhen. Seien wir ehrlich: Je nach Anbieter gibt es da enorme Unterschiede. Diesem Fakt müssen sich all diejenigen in der Branche stellen, die ernsthaft am Klimaschutz interessiert sind. Es liegt daher an den Qualitätsführern darüber aufzuklären, wie wirksame und hochwertige Klimaschutzprojekte erkannt werden können. Als gemeinnützige Stiftung nehmen wir das als deutlichen Auftrag wahr. Aber auch Unternehmen müssen bei der Auswahl von Partnern und Klimaschutzprojekten sowie in der Nachhaltigkeitskommunikation umsichtig agieren, um die Verantwortungsübernahme wirkungsvoll zu nutzen. Dabei unterstützen wir unsere Partner, damit ein Klimaengagement weiterhin ein Wettbewerbsvorteil bleibt.

 

Die Kritik hat also auch Vorteile?

Kathrin: Natürlich!

Es sensibilisiert uns auf vielfältige Weise dafür, noch genauer zu prüfen und stets wachsam zu sein. Aber es fordert uns auch heraus, Stellung zu beziehen.

Vor einigen Wochen wurde etwa eines unserer Projekte in Nicaragua medial kritisiert. Wir haben uns sofort ergebnisoffen mit allen Beteiligten zusammengesetzt, darunter auch mit den im Bericht zitierten Wissenschaftler*innen. Uns war wichtig, dass wir das möglichst schnell, gründlich und transparent angehen. Deswegen haben wir nicht nur nahezu zeitgleich ausführlich schriftlich Stellung bezogen, sondern auch in unserem Eventformat «Cloud Talk» das Thema aufgegriffen und live allen Interessierten die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen. Schlussendlich konnten wir die Vorwürfe entkräften. Das ist für mich Klimaschutz mit Verantwortung. So machen wir uns stark für das Klima und stark für unsere Partner.

Stefan: Das ist jedoch auch Beispiel dafür, dass Kritik problematisch sein kann, wenn sie nicht präzise genug ist. Wir brauchen eine ernsthafte Auseinandersetzung in der Tiefe, wenn es tatsächlich um Wirkung gehen soll. Hier sehe ich die Medien sowie die Klima- oder Verbraucherschutzorganisationen mit in der Verpflichtung. Pauschalisierungen helfen dem Klimaschutz nicht weiter. Sie führen am Ende dazu, dass die, die sich engagieren einer Gefahr ausgesetzt sind, während die Nichtstuer sich die Hände reiben. Was in der Branche rund um den Klimaschutz jetzt passieren muss, ist zweierlei:

Erstens eine ehrliche Debatte, die Veränderungsmaßnahmen anstößt. Wir haben beispielsweise bereits Mitte 2022 begonnen, ein neues Label zu entwickeln, dass unser bis damals gültiges «Klimaneutral-Label» ablösen sollte. Dafür gab es viele Gründe, darunter regulatorische Änderungen. Aber auch die veränderte öffentliche Wahrnehmung von Begriffen wie «klimaneutral» oder «Kompensation», deren Verwendung daraufhin kritisiert wurden. Hier haben wir mit der Einführung des myclimate «Impact-Labels» Ende 2022 und dem endgültigen Verzicht der genannten Begriffe einen neuen Maßstab für die ganze Branche gesetzt. Unsere Partner haben diese vorausschauende Maßnahme geschätzt, auch wenn die Veränderung für alle Beteiligten einen nicht unerheblichen Aufwand darstellte. Man sieht also: Ein verantwortlicher Klimaschutz entwickelt sich immer weiter.

Zweitens:

Vertreter*innen unterschiedlicher Herangehensweisen für den Klimaschutz sollten sich wieder auf das eigentliche Ziel fokussieren. Das Klima braucht jeden Lösungsansatz und jeden Akteur, der zur Erreichung der Klimaziele beiträgt.

Es ist kein Geheimnis, dass Organisationen, die sich ebenfalls dem Klimaschutz verpflichtet fühlen, verschiedene Klimaengagements oder Klimaschutzfinanzierungen massiv kritisieren. Wir brauchen den Streit, aber er sollte im Sinne des Klimaschutzes konstruktiv geführt werden. Im Ziel sind wir uns alle einig. Wir müssen bis zu einem bestimmten Grad lernen zu akzeptieren, dass es nicht nur unterschiedliche Wege gibt, sondern wir auch jeden einzelnen davon benötigen. Kurz: Eine Kritik sollte differenzieren und den Impact auf den Klimaschutz reflektieren.  

Ich fände es eine gute Idee, wenn wir als gemeinnützige Organisation gemeinsam mit den dafür offenen Kritikern ein Grundsatzpapier für good practice entwickeln. Die «Initiative Transparente Zivilgesellschaft» stellt etwas ähnliches für den Bereich der Zivilgesellschaft dar. Dies würde Organisationen, Projektbetreibern, Konsumenten und Unternehmen wertvolle Leitplanken geben, Vertrauen schaffen und dem Klima schlussendlich dienen. Einzelne Gespräche haben wir dazu bereits geführt.

 

Besonders ein Bericht über VERRA zertifizierte Waldschutzprojekten hat der Branche vermutlich Vertrauen gekostet. Was ist passiert?

Kathrin: Betroffen von der Kritik waren sogenannte REDD+ Projekte, also Projekte, welche die Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung zum Ziel haben. Im konkreten Fall war die Methodologie bei VERRA unzureichend. Hierdurch gelangten Zertifikate auf den Markt, die weniger CO2 einsparten als versprochen. Dieses Handeln hat Waldschutzprojekte in Verruf gebracht. Das ist ein Beispiel aus der Praxis, bei dem mir als Klimaschützerin das Herz blutet. Wir haben zu der Thematik eine ausführliche Information veröffentlicht, obwohl myclimate nicht betroffen war und keines der genannten Projekte im Portfolio hat. Ich bin den Mitarbeiter*innen bei uns dankbar, dass sie im Due Diligence Prozess genau diese Projekte, als auch die alleinige Nutzung des VERRA-Standards, ausgeschlossen haben. Aber ich kann verstehen, dass Unterstützer*innen solcher Projekte nun ihr Engagement überdenken. Zwei Fakten sprechen dagegen:  

Erstens: Das Erreichen des Pariser 1,5-Grad-Ziels ist mit bloßer Minderung menschengemachter Emissionen und dem technischen Einfangen und Speichern nicht mehr möglich. Deshalb sind sogenannte Nature-Based Solutions (NBS), zu denen auch Waldschutzprojekte gehören, unerlässlich. Die Welt braucht dringend mehr intakte Wälder mit einem hohen Pflanzen- und Artenreichtum oder muss diese erhalten.  

Zweitens: Ein verlässlicher Schutz und eine überprüfbare Wiederaufforstung sind möglich. Die passenden Werkzeuge gibt es und wir nutzen sie auch. Etwa den Plan Vivo Standard, der nicht nur community based ist, sondern auch einen hohen Anteil an Pufferzertifikaten für jedes Projekt zurückhält, um unerwartete Effekte wie Waldbrände o.ä. in Form einer globalen Versicherung auszugleichen. Auch Zusatzzertifikate können Defizite von VERRA zertifizierten Projekten absichern. 

 

Worauf sollten Unternehmen denn jetzt besonders achten, wenn es um guten Klimaschutz allgemein geht?  

Christof:

Es gibt nicht den einen «richtigen» Weg. Klimaschutz besteht aus einer Vielzahl ineinandergreifender Prozesse und Möglichkeiten.

Aus diesem Grund ist myclimate breit aufgestellt: In der Beratung zur Vermeidung und Reduktion von klimaschädlichen Emissionen, in der Sensibilisierung und Aktivierung von diversen Zielgruppen, wie zum Beispiel Lernende, sowie in der Klimaschutzfinanzierung. Ganzheitlichkeit ist somit eines der Qualitätsmerkmale, auf die man achten sollte. Wir begleiten beispielsweise Unternehmen mit der myclimate Klimastrategie dabei, die Klimawirkung deutlich zu reduzieren und langfristig ihre Netto-Null-Ziel zu erreichen. Damit vereinen wir sämtliche Prozesse, Möglichkeiten, Regularien und Anforderungen in einem einheitlichen verständlichen Ansatz.  

Kathrin: Mit Blick auf Klimaschutzprojekte rate ich Unternehmen, ganz gleich ob aus Sicht der Wirkung oder der Reduzierung von Reputationsrisiken, auf folgendes zu achten: Wer hat das Projekt zertifiziert und wie ist es zu überprüfen? Der Gold Standard oder Plan Vivo sind hier als die hochwertigsten Zertifikatgeber zu nennen. Gibt es durch den Klimaschutzpartner eine zusätzliche Due Diligence Prüfung, die über die Standards hinausgeht oder weitere Aspekte mit einbezieht? Pflegen die Initiatoren einen engen und langfristigen Austausch mit den Projektverantwortlichen vor Ort? Werden zusätzliche Nachhaltigkeitskriterien (etwa SDGs) erfüllt oder besser Community-based Ansätze genutzt, damit der Klimaschutz nicht zulasten der lokalen Bevölkerung geht? Und zu guter Letzt: Wird alles, von den Zielen über die Zertifikate bis hin zur Mittelverwendung, transparent aufgeführt? Mit diesen Vorkehrungen lassen sich Risiken sehr stark minimieren. 

Stefan: Auch die Motivation ist ein weiteres Merkmal für guten Klimaschutz. Wenn ein Unternehmen einen verlässlichen Partner für den Klimaschutz sucht, sollte es immer die Frage stellen: Was ist der Antrieb des zukünftigen Partners?

Bei myclimate stellen wir etwa durch unsere Gemeinnützigkeit sicher, dass die Antwort immer «Klimaschutz» lautet.

Es gibt strukturell kein Gewinnstreben. Somit fließen 80 Prozent der Klimaschutzbeiträge direkt in die Projekte und sämtliche Verwendungen führen wir im Jahresbericht auf. Dieser Hintergrund führte dazu, dass wir erst vor kurzen eine Kundenanfrage für die Kollaboration mit einem Klimaschutzprojekt abgelehnt haben, welches myclimate einen Rohertrag von einer Million Euro garantiert hätte. Unsere Due Diligence deckte in einer aufwendigen Recherche auf, dass der ursprüngliche Projektanbieter eine Firma war, die eine lange Historie von Umwelt- und Korruptionsskandalen hatte und damit natürlich nicht unseren Werten entspricht. Da gehen wir nicht mit, Punkt. Diese Haltung schützt auch unsere Kunden vor Reputationsrisiken und den Vorwurf des Greenwashings. 

 

Haben die aktuellen Debatte Auswirkungen auf die Strategie von myclimate?

Kathrin: Wir analysieren ständig unsere fachliche Umgebung. Dazu gehören u.a. Klimakonferenzen, Entscheidungen der EU oder einzelner Nationalstaaten, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden sowie das mediale Umfeld. Alle Erkenntnisse fließen in unsere Produkte, Entscheidungsprozesse und die branchenspezifische Beratung ein. Stefan hat eben als eine Konsequenz daraus das neue Impact Label genannt. Eine weitere Veränderung ist die Aktualisierung unseres Flugrechners, zu der die Erhöhung des RFI von 2 auf 3 gehört. Der RFI drückt das Verhältnis der Klimawirkung aller klimawirksamen Effekte des Flugverkehrs als Multiplikator der CO2-Emissionen aus. Aktuelle Studien haben nun die stärkere Gewichtung durch die Anhebung des RFI-Wertes nahegelegt, wenn sich die Betrachtung auf den für das Netto-Null-Ziel in 2050 wesentlichen Zeithorizont von 30 Jahren bezieht.  

Stefan: Auch intern entwickeln wir uns weiter.

Wir wollen die Mitbestimmung sowie die Lern- und Fehlerkultur organisationsweit ausbauen.

Denn unsere Mitarbeitenden sind oft die strengsten Kritiker*innen. Sie alle haben hohe Erwartungen an unsere Arbeit und stehen hinter unserer Vision, mit wirkungsvollem und ambitioniertem Klimaschutz unseren bestmöglichen Beitrag zu einer Netto-Null-Gesellschaft zu leisten. Die dafür mutigen neuen Wege können wir nur gehen, wenn wir uns auch immer wieder selbst hinterfragen und offen diskutieren.  

Um das zu ermöglichen, haben wir einerseits einen von den Mitarbeitenden gesteuerten «Fit 4 Future» Prozess gestartet, der u.a. unsere Vision aktualisiert und Raum für Impulse und Kritik an unserer Entwicklung forciert. Andererseits haben wir mit einer neuen Führungsstruktur ein neues Kapitel bei myclimate aufgeschlagen: Statt eines einzelnen CEO teilen seit August 2023 sieben Mitglieder der bisherigen Geschäftsleitung gemeinsam die Gesamtführung, wodurch Entscheidungen durch sich ergänzende Kompetenzen gestützt werden. 

 

Was sind die nächsten Schritte bei myclimate?  

Christof: Wir haben uns in den letzten Monaten stärker im zivilgesellschaftlichen Bereich aufgestellt. Etwa mit der #Putinyourvoice Kampagne, die in der Schweizer für das neue Klimaschutzgesetz geworben hat. Oder der offene Aufruf zum Stopp klimaschädlicher Subventionen in Deutschland. Das werden wir sicher ausbauen, auch durch unser Mitwirken in zahlreichen Vereinen und Verbänden, die mit uns gemeinsam für den Klimaschutz eintreten.

Und wir werden den eingeschlagenen Weg unseres Impact-Labels weitergehen und so die Wirkung noch stärker in den Mittelpunkt unseres Tuns stellen.

Die Messgröße dafür lautet CO2. Wir wollen die Vermeidung, die Reduktion und die Emissionseinsparungen bei Klimaschutzprojekten, der Beratung und der Bildung noch transparenter darstellen. Dafür haben wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, unseren letztjährigen Rekord an eingesparten Tonnen CO2 deutlich zu übertreffen. Damit wollen wir motivieren und das grundlegende Ziel unserer Arbeit deutlich sichtbar nach vorne stellen: Die notwendige gesellschaftliche Transformation mit wirkungsvollen und messbaren Klimaschutz für eine nachhaltige globale Entwicklung gemeinsam mit unseren Partnern vorantreiben.

 

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